Vom der „Weißen mit Strippe“ zum Pilsner-Berliner Biergeschichte
Die Brauereigeschichte Berlins beginnt mit der Stadtgründung, hier jedoch soll nur kurz die jüngere Geschichte abgehandelt werden. Mitte des 19.Jahrhunderts war der Übergang zur Gewerbefreiheit vollzogen, was auch Auswirkungen auf das Braurecht hatte. Mit der einsetzenden Industrialisierung verlor das Brauwesen in Deutschland seinen handwerklichen Charakter und wurde zum Industriezweig, der viele Arbeitsplätze und dem preußischen Staat erhebliche Steuereinnahmen bot.
Wurde 1860 noch größtenteils obergäriges Weißbier mit einem hohen Anteil an Weizenmalz gebraut und gern mit „Weiße mit Strippe“, einen Kümmel- oder Kornschnaps -getrunken, so änderte sich der Geschmack der Berliner grundlegend mit Einführung des bayerischen untergärigen Bieres im Kaiserreich. Zur Erinnerung: Obergärige Hefe (schwimmt nach Gärprozess oben!) benötigt bei der Gärung Umgebungstemperaturen von 15-20°C, untergärige Hefe von 4–9 °C. Der säuerliche Geschmack der Berliner Weiße, der durch Milchsäurebakterien in der Weißbierhefe entsteht, war nun nicht mehr gefragt, sondern ein gut gehopftes helles oder zumeist dunkles bayrisches Bier stand in der Gunst der Berliner ganz oben. Allerdings konnte sich erst am Ende des 19. Jahrhunderts der Berliner Pilsner-Typ gegen das dunkle
bayrische Bier durchsetzen. Die meisten Weißbierbrauereien gingen mangels Know- how für die untergärigen Biere und fehlender Produktionsbedingungen pleite. Die für untergäriges Bier erforderlichen konstanten Brautemperaturen von unter zehn Grad Celsius waren im Sommer schwierig zu halten, so dass tiefe Brau- und Lagerkeller erforderlich wurden, die es aber nur in den Berliner „Bergregionen“ von Kreuzberg oder Windmühlenberg (Prenzlauer Berg) gab. Die mächtige Grundmoränenschicht des hier ansteigenden Barnims war günstig für die Anlage trockener, kühler Bierkeller. Da es nur hier möglich war, 20 Meter in die kühlende Tiefe zu gehen, wurden nach 1870 am Prenzlauer Berg allein 14 Brauereien gegründet, die einen großen Bauboom auslösten, der erhebliche finanzielle Mittel erforderte und schon bald zu Brauerei-Fusionen führte.
Doch schon ab Mitte 1880 änderten sich durch die rasante technische Entwicklung die notwendigen Voraussetzungen: Mit dem Bau einer „Kältemaschine“ auf der Basis von Ammoniak durch den Münchner Carl von Linde und dem damit verbundenen Patent für Großkühlanlagen für die Firma Linde wurde ab 1883 das Brauen untergärigen Bieres von der Jahreszeit und dem Vorhandensein natürlicher kühler Brau- und Lagerkeller unabhängig. Die Brauereien waren nun auch in anderen Berliner Stadtteilen zu finden (z.B. die Engelhardt Brauerei auf Stralau oder die Borussia-Brauerei in Schöneweide).
Die Arbeitsverhältnisse der Brauer wurden Gegenstand des Arbeitskampfes. Im Berliner Bierboykott von 1894 streikten Böttcher der Rixdorfer Brauerei für einen freien Ersten Mai. Als sie ausgesperrt wurden, solidarisierten sich die Berliner Arbeiter, in dem sie bestimmte Biersorten der Brauereien boykottierten- und das acht Monate lang! Der 1. Mai als Feiertag wurde für die Brauer nicht erreicht-den gibt es erst durch die Gesetzgebung der Nationalsozialisten von 1933. Erreicht wurde im Streik allerdings der 9,5 Stunden Tag für die Brauer.
Berlin wurde zu Beginn des 20.Jahrhunderts die größte Brauereimetropole des Kontinents und vielfältige technische Neuerungen fanden Einzug in die industrielle Großproduktion. Verbunden mit den Brauereien waren die unendlich vielen Eckkneipen, die neben dem Brauereiausschank (meist in großen schattigen Gärten direkt an der Brauerei) das Bier einer bestimmten Brauerei vertrieben. Da weder Fernsehen noch Radio lockten, waren die Kneipen für den „4. Stand“ (das Proletariat) Orte der Geselligkeit, der politischen Diskussion und der Massenunterhaltung. Otto von Bismarck wird der Ausspruch zugeschrieben „Es wird bei uns Deutschen mit wenig so viel Zeit totgeschlagen, wie mit Bier trinken“ (am 28. März 1881 im Deutschen Reichstag).
Zu den großen, heute nicht mehr existierenden Brauereien gehörten damals die Engelhardt Brauerei, die Bötzow Brauerei, die Löwenbrauerei Böhmisches Brauhaus, die Berliner Schloßbrauerei in Schöneberg, das Berliner Bürgerbräu Friedrichshagen, die Brauerei Pfefferberg und die Brauerei Königstadt, die zum Teil mehrere Betriebsstätten hatten. Nach Ende des 1 .Weltkrieges begann mit Inflation und Rohstoffmangel auch das Brauereisterben und die Immobilien fanden in Werkstätten, Fabriken und Kinos neue Nutzer (z.B. die Gebäude der Königstadt Brauerei).
Heute gibt es nur noch eine Großbrauerei (Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerie in Alt-Hohenschönhausen, früher Schultheiss-Patzenhofer), aber die historische Bausubstanz der Brauereien mit den z.T. im Historismus gestalteten Backsteingebäuden ist auf 13 Arealen in Pankow-Prenzlauer Berg zumindest noch teilweise vorhanden. Die vielfältigen heutigen Nutzungen werden in Folge an einigen Beispielen beschrieben.
In der nächsten Folge wird über die Geschichte der letzten und einstmals größten Berliner Brauerei,der Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei und ihre historischen Standorte und heutigen Nutzung berichtet.
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mw
Fotos (c) Hotel-Pension Kastanienhof
Danke für den informativen Beitrag! Vor längerer Zeit las ich in einer Zeitung, traditionell gebrautes Weißbier sei wieder im Kommen und es gäbe in Berlin einen Laden (oder eine Kneipe?), in dem sogar viele Sorten Weißbier angeboten werden. Kann mir jemand sagen, wo das ist? Gerne würde ich mal auf den Geschmack unserer Vorfahren kommen.
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