Die Geschichte von Aufstieg und Fall, Schattendasein und Wiederentdeckung mit Happy-End
Das Vorzeigebeispiel einer gelungenen Wiederbelebung einer Industriebrache mitten in Berlin ist die Abteilung I der Schultheiss Brauerei, die „Kulturbrauerei“, die mit einer Million Besucher und 2.500 Veranstaltungen im Jahr in den letzten Jahre zu einer der angesagten Szene- Adressen in Berlin geworden ist.
1842 kaufte der Apotheker August Heinrich Prell nach Angaben des Vereins für Brauereigeschichte Berlins e.V. (http://www.ggb-berlin.de/frameset.html) ein 2, 5 Hektar großes Areal außerhalb des alten Berlins an der heutigen Schönhauser Allee, um untergäriges Bieres nach bayrischer Art zu brauen und dieses in der angegliederten Schankstube auszuschenken.
Bereits nach 10 Jahren verkaufte er die Brauerei an den Kaufmann Jobst Schultheiss, der der Brauerei seinen Namen gab. 1864 wurde Adolf Roesicke Besitzer der Brauerei, der vorher viel Geld mit einer Weißnäherei (Wäschefirma) verdient hatte. Es war „Gründerzeit“ in Deutschland, in der oftmals dann der „Gründerkrach“ mit Pleite folgte. Anders hier: Unter Roesickes Sohn Richard, der mit der kaufmännischen Leitung beauftragt war, expandierte die Brauerei. Der Hauptsitz wurde zwischen heutiger Sredzkistrasse und Knaakstrasse durch Zukauf großer Grundstücke an der Schönhauser Alle 36-38 angelegt. Frisches Geld kam über die Gründung einer Aktiengesellschaft 1871 in die Kasse.
Mit dem Erwerb einer Großkühlanlage der Firma Linde 1882/83 konnten die bisherigen Eiskeller (untergäriges Bier!) in Lagerkeller umgewandelt werden, durch die Einführung von Flaschenbier stieg die Produktion. Die Anzahl Hektoliter gebrauten Bieres wuchs von Jahr zu Jahr, waren es noch 10.000 hl um 1860, so stieg der Ausstoß auf 850.000 hl im Jahr 1900. Durch weitere Zukäufe wuchs das Brauereigelände auf 25.000 m² und die Abteilung I (die heutige Kulturbrauerei) wurde 1887 nach einem Entwurf des Berliner Architekten und Hofbaurat Franz Schwechten (von ihm stammt u.a. der Entwurf der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche und des Anhalter Bahnhofs) als repräsentativer Industriebau nach dem Vorbild einer mittelalterlichen Burganlage errichtet. Wie bei vielen Industriebauten aus dieser Zeit in Berlin (AEG, Siemens und Borsig) waren aufwendige Gestaltungen in gediegenem Ziegelwerk mit Schmuck zur Selbstdarstellung der wirtschaftlichen Potenz des Unternehmens üblich und durch die niedrigen Löhne auch realisierbar (Heute ist die Arbeitskraft teuer und das Material billig, man sieht es an den Industriebauten).
1892 erfolgte die Eröffnung des Brauereiausschanks und 1896 entwarf Karl Klimsch (Bruder des Malers Paul und des Bildhauer Fritz Klimsch) das noch heute genutzte Logo der Schultheiss-Brauerei unter Anspielung auf den „Schultheiß“ als mittelalterlichen städtischen Ratsbeamten. Durch Zukäufe wie die Tivolibrauerei Kreuzberg als Abteilung II (1899, heute das „Victoria- Quartier “) und die Groterjan-Malzbierbrauerei (1920) in der Milastrasse wuchs die Brauerei weiter.
1914 wurden 1,75 Millionen Hektoliter produziert. Damit war die Brauerei zu diesem Zeitpunkt die größte Brauerei Deutschlands. Neben anderen, auch außerhalb Berlins liegenden Produktionsstandorten, gehörte auch die heute als Ruine in der Schnellerstrasse in Schöneweide befindliche Abteilung IV dazu, die 1888 als Borussia –Brauerei gegründet und bereits 1898 von Schultheiss aufgekauft wurde.
1920 erfolgte die Fusion mit der Actien-Brauerei-Gesellschaft Friedrichshöhe (vormals Patzenhofer, 1855 gegründet durch den Bayern Georg Patzenhofer) zur Schultheiss-Patzenhofer- Brauerei. Der Jurist Dr. Walter Sobernheim (1869-1945 NY), baute ab 1920 als Generaldirektor die Schultheiss-Patzenhofer -Brauerei zu einer der größten Brauereien Deutschland und zu einer der weltweit führenden beim Lagerbier aus. Er war einer der bekanntesten Industriellen seiner Zeit und musste 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung Deutschland verlassen (siehe hier im Blog: https://berlinab50.com/2015/04/12/die-sobernheims-von-schwanenwerder/).
Ab 1938 hieß die Brauerei „ Schultheiss- Brauerei AG“ und war mit 4,5 Mio. hl die größte Lagerbierbrauerei der Welt. In der Abteilung I (der Schönhauser Alle/Sredzkistrasse ) wurde noch bis 1967 gebraut, dann wurde der Betrieb stillgelegt und u.a. ein Teil der Gebäude als Möbellager genutzt.
1974 wurde das Areal zwar unter Denkmalschutz gestellt, aber nicht saniert und verfiel. 1990 übernahm die Treuhand das Gelände und unter dem Weblink: http://www.kulturbrauerei.de/gelaende/geschichte/ kann die wechselvolle Geschichte von Aufbruch nach 1990, Verkaufsversuchen, ersten Mietern, Insolvenzen, Sanierung zwischen 1998 und 2000 und glücklichem Ende nachvollzogen werden. Auf 40.000 Quadratmeter Gewerbefläche haben heute auf dem Gelände der Abteilung I verschiedenste Kultureinrichtungen, Dienstleister und Gewerbe ihre Heimat gefunden. Dazu zählen so stadtbekannte Einrichtungen wie der „frannz“- Club, der Soda-Club, das Kino in der Kulturbrauerei, das Museum in der Kulturbrauerei (Alltag in der DDR, als Außenstelle der Bonner Stiftung „Haus der Geschichte“), das Theater „Ramba Zamba“, das „Panda-Thater“ und die Literaturwerkstatt Berlin. Viele Restaurants, Sportschulen und außergewöhnliche Geschäfte (z.B. Fischers Lagerhaus mit Möbeln und Wohnaccessoires aus Asien) gibt es außerdem. Stadtbekannte Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte, Theater- und Musikfestivals und der Street Food- Sonntagsmarkt locken Berliner und Touristen gleichermaßen. Glückwunsch und Dankeschön an die Projektentwickler von der TLG! (Tochtergesellschaft der Treuhand, die 2012 privatisiert wurde).

„Im Bier liegt das größte Glück“
Eine Brache, die noch auf ihre Wiederbelebung wartet, stellen wir in der nächsten Folge vor: die ehemalige „Actien-Brauerei-Gesellschaft Friedrichshöhe (vormals Patzenhofer) in der Landsberger Alle/Richard Sorge –Straße (seit 1920 zu Schultheiss gehörend).
mw
Fotos (c) Hotel-Pension Kastanienhof und (c) mw