An der Schlossbrücke stehen auf dem Schinkelplatz drei Denkmale preußischer Reformer, die – wie der Bildhauer Christian Daniel Rauch einmal gesagt haben soll – „die ersten Helden ohne Degen“ waren. Obwohl der in Berlin allgegenwärtige Lenné diesen Platz 1837 angelegt hat, fehlt er hier. Das Schinkel –Denkmal wurde 1869 auf dem Platz vor der Schinkelschen Bauakademie aufgestellt und gab ihm seinen Namen. Das Denkmal für Peter Christian Wilhelm Beuth, der als “ „Vater der preußischen Gewerbeförderung” bezeichnet wird, weil er den Übergang zur industriellen Herstellung als ministerialer Beamter begleitete, kam 1861 hinzu (über ihn wird im Blog noch berichtet werden). Ein Jahr davor wurde das Denkmal (nach einem Entwurf von Rauch) für Albrecht Daniel Thaer eingeweiht. Die bemerkenswerte Lebensgeschichte dieses Mannes, der als über 50jähriger einen beruflichen Neustart wagte, möchte ich Ihnen näherbringen.
Am 14.5.1752 wird A. D. Thaer als Sohn eines Leibarztes des Kurfürsten von Hannover geboren und studiert nach dem Willen des Vaters Medizin in Göttingen. Nach der 1774 erfolgten Promotion lässt sich Thaer als praktischer Arzt in Celle nieder. 1785 heiratet er Philippine von Willich. In diese Zeit fallen seine – durch die oftmals begrenzten ärztlichen Möglichkeiten seiner Zeit begründeten – inneren Zweifel an der Berufswahl. Sicherlich hat dazu beigetragen, dass von seinen 11 Kindern nur fünf das Erwachsenenalter erreichten, was in dieser Zeit zwar durchaus üblich, für einen Arzt aber sicherlich noch schwieriger zu verkraften war.
Gemeinsam mit seiner Frau sucht er nun Erfolg in der Zucht von Pflanzen und im Gartenbau und betreibt neben seiner ärztlichen Praxis – inzwischen ist er außerdem Leibarzt des Kurfürsten Georg, der gleichzeitig englischer König (Georg III.) ist – ein großes landwirtschaftliches Gut bei Celle. Er befasst sich mit landwirtschaftlichen Themen, besonders zum Fruchtwechsel auf den Feldern zur Ertragssteigerung und verfolgt intensiv Publikationen über englische Landwirtschaft. Ohne jemals in England gewesen zu sein, veröffentlicht er ab 1798 in drei Bänden eine umfassende Darstellung der englischen Landwirtschaft und macht – darauf aufbauend – Vorschläge zur Verbesserung der deutschen Landwirtschaft. Damit wird er zum Begründer der Landwirtschaft als eigenständiger Wissenschaft in Deutschland, die bis dahin der Staats- und Wirtschaftslehre (Kameralistik) zugerechnet wurde.
1802 gründet er in Celle das erste deutsche Landwirtschaftliche Lehrinstitut. Durch seine Veröffentlichungen und sein Institut wird der preußischen König Friedrich Wilhelm III. auf ihn aufmerksam. Er versucht ihn abzuwerben, um Thaer´s Erfahrungen in Vorbereitung der geplanten landwirtschaftlichen Reformen für Preußen zu nutzen (Die Agrarreformen von Stein und Hardenberg führen dann 1807 zur Bauernbefreiung). Dies gelingt ihm aber erst 1804, als Thaer sich – durch die Besetzung Hannovers durch die napoleonische Armee – in seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit (Kontinentalsperre) behindert sieht. Thaer übersiedelt mit seiner ganzen Familie und Bediensteten nach Preußen, gibt mit 52 Jahren seine Tätigkeit als Arzt auf und wird Landwirt und Lehrer. Doch zuvor schreibt er noch sein viel beachtetes „medizinisches Testament“, in dem er die Zusammenhänge zwischen Volksgesundheit, Sozialhygiene und Gesundheitspolitik aufweist.
Thaer kann mit finanzieller Unterstützung des preußischen Staates das Rittergut Möglin westlich von Wriezen im Oderbruch erwerben und 1806 die „Landwirtschaftliche Akademie Möglin“ als private Bildungsstätte für Landwirte eröffnen (ab 1819 „Königliche Preußische Akademie des Landbaues“). Thaer´s Lehransatz beruht auf der Einheit von Theorie und Praxis, um die Wissensvermittlung praxisbezogen seinen Studenten nahezubringen. Die sich in dieser Zeit erst an den Universitäten etablierenden Naturwissenschaften wie Chemie und Physik gehören ebenso zu den Lehrfächern wie Zoologie (Tierproduktionslehre), Botanik, Bodenkunde (Düngung!) sowie Mathematik und „Gewerbslehre“ (Agrarökonomie). Auf den Versuchsflächen des Guts wird das erworbene Wissen ausprobiert. Seine Erfolge in der Schafzucht sind legendär, selbst bis nach Australien werden die Zuchttiere verkauft werden.
Die Studenten sind im Internat untergebracht und verpflegt, die in Städten üblichen „Ablenkungen“ fehlen gänzlich, so dass ein straff organisiertes Lehrsystem etabliert werden kann. Thaer wird als strenger, rastloser Visionär beschreiben, der zum Beispiel das Rauchen (Brandschutz) und den Alkohol für seine Studenten verbietet. Getreide und Kartoffeln aus seinem Gut dürfen nicht für die Schnapsherstellung oder Brauerei genutzt werden. Die Ausbildung dauert ein Jahr und es studieren jeweils ca. 20 Landwirte, Söhne wohlhabender Adliger und Bauern, die die Studiengebühren bezahlen können. Neben der Lehrtätigkeit ist Thaer ganz im Sinne Humboldts auch Forscher. In Möglin entwickelt er seine „Grundsätze zur rationellen Landwirtschaft“ mit Abkehr von der traditionellen Drei Felder Wirtschaft und Einführung der Fruchtwechsel-wirtschaft. 1810 wird er an die neugegründete Berliner Universität als außerordentlicher Professor für landwirtschaftliche Kameralistik berufen. 1817 gründet er die Zeitschrift „Wissenschaftlichen Annalen der Landwirtschaft“, die bis 1833 erscheint. Als Wissenschaftler ist er äußerst produktiv und veröffentlicht seine Beiträge zur Landwirtschaftswissenschaft in ca. 400 Büchern.
Bis zu seinem Tod im Jahr 1828 hat die private Akademie viele „Nachahmer“ in Deutschland gefunden. Sein siebenter Sohn Philipp übernimmt die Lehranstalt, jedoch wird durch die abgelegene Lage des Guts die Zahl der Studenten kleiner, bis 1861 nach dem Tod Philipps dann die weiterhin privat betriebene Akademie aufgelöst wird.
Zwischen 1806 und 1860 sind 773 – aus ganz Europa kommende – Absolventen in der Matrikel geführt. Sie haben als Multiplikatoren die wissenschaftlichen Methoden von Albrecht Daniel Thaer zur Effizienzsteigerung in die Landwirtschaft eingebracht*.
Thaers Grab befindet sich im Mögliner Gutspark. 2014 wurde die in der Invalidenstrasse 42 befindliche und seit 1880 als „Königlich Landwirtschaftliche Hochschule Berlin“ angesiedelte Landwirtschaftlich- gärtnerische Fakultät der Humboldt-Universität in das „ Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften“ umbenannt. Im Thaer-Saal des Instituts befindet sich seit 1952 das Originaldenkmal vom Schinkelplatz.
Voller Hochachtung für einen Visionär, der mit 50+ noch einmal durchstartete
Ihr mw
Fotos (c) PB, mw