Mögen Sie Akkordeon? Argentinien? Tango? Musette? Oberkrainer, Cajun, Knöpfe? Bälger? Und auch „durchschlagende Zungen“? Wenn Sie nur eine dieser Fragen mit JA beantworten können, ist dieser Bericht genau der Richtige:
Vor geraumer Zeit las ich in einem Akkordeon- Magazin über mein Instrument, das Akkordeon: Über eine besondere Vorstellung im „Theater am Rand“, über das Bandoneum- und Tangomuseum im Breisgau, über Schweizer Akkordeonbauer und auch über das Hohner Museum in Trossingen. Diese Berichte ermunterten mich zu einer Reise, sozusagen zu den „Tasten und Knöpfen“ in Deutschland.
Präludium: Über meine Eindrücke von meinem Besuch im Theater am Rand im Oderbruch, genauer gesagt nach Zollbrücke, habe ich Ihnen schon vor einigen Wochen berichtet: Der bekannte Akkordeonist Tobias Morgenstern und der Schauspieler Tomas Rühmann haben im Jahr 1998 noch in einer Stube in einem alten Fachwerkhaus dort am Rande Deutschlands eine alternative Theaterstätte erbaut. Die Vorstellung „Accordion Mystery“ nach E. Annie Proulx‘ Meisterwerk „Das grüne Akkordeon“ war durch die virtuose Spielweise von Morgenstern, dem Vortrag von Rühmann und dem gesamten „Drumherum“ ein beeindruckendes Erlebnis.
Zwei Wochen später machte ich mich dann auf die Fahrt durch Deutschlands Tastenwelt. Als jeweilige Zwischenstationen wurden Freunde und Verwandte besucht.
Ouvertüre capriccioso: Der erste Stopp war am Rhein bei einer sehr netten Urlaubsbekanntschaft. Die obligatorische Dampferfahrt und der Abstecher in die Rüdesheimer Drosselgasse war Pflicht. Eine Überraschung war dann aber doch das Weinlokal mit dem liebenswerten Namen „Zur Quetschkommode“. Ein Akkordeonspieler mit Cowboyhut spielte – natürlich – schunkelnde Rheinlieder. Am nächsten Tag ging’s weiter Richtung Schwarzwald.
Concerto grosso: Staufen im Breisgau, bekannt bei Liebhabern der Schladerer Getränke und als die Stadt der gewaltigen Hebungsrisse, nicht nur im Rathaus, sondern auch an sehr vielen Häusern dieser schönen historischen Altstadt. Hervorgerufen vermutlich durch Wärmebohrungen ins tiefe Erdreich. Hier befindet sich das Tango- und Bandoneum Museum. Die Sammlung Steinhart besteht aus über 400 alten und sehr alten, sehr schönen Bandoneons. Die verschiedensten Bandoneonformen, Materialien und Intarsienverzierungen der allerfeinsten Art geben einen Überblick über dieses außergewöhnliche Instrument. Die Erklärung
en von Axel Steinhart, kenntnisreich und ausführlich, vertiefen diese optischen, sinnlichen Eindrücke. Zusätzliche Exponate wie Noten, alte Platten, Plakate und natürlich Tangomusik ergänzten diesen erlebnisreichen Nachmittag.
Suite oktave: Am nächsten Tag ging es durch den Schwarzwald – Stopp am Titisee incl. Erwerb einer Kuckucksuhr – zum Bodensee. In Gaienhofen, hier wohnte Hermann Hesse, und in dem ein paar Kilometer weitergelegenen Ort Hemmenhofen, dem Wohnort von Otto Dix, besuchen wir die kleinen Museen und fahren dann weiter auf die andere Seite des Bodensees, in die Schweiz, nach Rorschach. Hier ist die Akkordeon-Werkstatt von Marco und Dani Untersee zuhause. Diese beiden Schweizer Akkordeonbauer lieben die Akkordeonmusik und „schneidern“ im wahrsten des Wortes ihre Instrumente individuell auf jeden Musiker zu. Vom Bandoneon für Clowns bis zum perfekten Akkordeon für perfekte Akkordeonisten in aller Welt. Sie zeigten ihre handwerklichen Tätigkeiten bis ins Detail, bis hin zur Fertigung der durchschlagenden Zunge. Diese Zunge ist bekanntlich der Ursprungsort der Töne unseres Instruments. Wenn man genau hinsieht, erkennt man die Präzision der Fertigung der verschiedenen Bausteine eines Akkordeons Ich hörte die unterschiedlichsten Klänge der unterschiedlichsten Instrumente und höre die vielen Arbeitsstunden, die darin stecken.
Die virtuose Spielweise von Vater und Sohn am Ende der Besichtigung wurde durch einen zufällig Besuch eines Musikfreundes dieser beiden Instrumentenbauer, der die beiden auf seiner Flöte begleitete, zu einem Konzert der Extraklasse.
Finale grandioso: Vom Bodensee ging es weiter in Richtung Stuttgart, in ein kleines verträumtes Örtchen namens Bochingen, zum Verwandtenbesuch. Von hier ist es nicht weit in die Stadt der bekannten Firma Hohner, in die Akkordeonstadt Trossingen. Ein Museum mit so vielen Exponaten, Akkordeons und Mundharmonikas hatte ich nicht erwartet: u.a. das auf links umgebaute Akkordeon von Rudolf Würthner, ein gebogenes Akkordeon, die erste Morino, das größte Knopfakkordeon der Welt und selbstverständlich auch mein Jugendinstrument die Lucia IV P. Von d
en Mundharmonikas beeindruckte mich am meisten die Bananenmundharmonika, ein Instrument mit Trompetentrichtern, aber auch ein Stück mit einer Pistolen- oder Gewehrkugel im Gehäuse. Diese Mundharmonika hat bestimmt einmal ein Musikerleben gerettet. Ergänzt wird diese beeindruckende Sammlung mit diversen Ton- und Filmdokumenten. Das alles auf dem ehemaligen historischen Gelände der Matth. Hohner AG Trossingen in der ehemaligen Fertigungshalle Bau V.
Da capo: Ich habe bewusst auf die Beschreibung einzelner Instrumente verzichtet, weil Sie dies alles viel ausführlicher in den Fachzeitschriften nachlesen können. Sicherlich gibt es in Deutschland noch viel mehr in Sachen Akkordeon zu berichten und zu besichtigen. Aber das hebe ich mir für später auf.
Auf dem Rückweg dieser interessanten musikalischen Reise nach Berlin legte ich eine CD ein. Welche Musik ich hörte, können Sie sich vermutlich denken.
brd
Fotos (c) brd
Bälger hatte ich bisher immer für unerzogene Kinder gehalten 🙂
Egal: Als zugegeben mäßiger Akkordeonspieler kann ich immerhin fast alle Fragen mit JA beantworten. Den interessanten Beitrag möchte ich noch ergänzen mit dem Hinweis auf zwei weitere sehenswerte Museen zur Geschichte und Entwicklung des Akkordeons, besser der Stimmzungeninstrumente im Allgemeinen. Sie befinden sich in Klingenthal / Erzgebirge und in Castelfidardo / Italien. Beide habe ich schon besucht, das in Trossingen leider noch nicht.
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