„Die gemordete Stadt“
Wolf Jobst Siedlers (1926- 2013) Standardwerk zu den Sünden der Stadtplanung aus dem Jahr 1964 ist als Überschrift hier nur exemplarisch für eine fehlgeleitete Berliner Baupolitik, die aktuell am Beispiel der Beschädigung der Friedrichswerder´schen Kirche in Mitte zu besichtigen ist.
Die zwischen 1824 und 1831 nach den Plänen Schinkels gebaute Kirche gilt trotz ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg als einziges öffentliches Gebäude Schinkels in Berlin, das innen wie außen weitgehend originalgetreu erhalten bzw. wiederhergestellt ist. Die Kirche wurde nach 1980 wieder aufgebaut und gehörte seit der 750-Jahrfeier Berlins im Jahr 1987 als Skulpturen- und Schinkel-Museum zu den Staatlichen Ost-Berliner Museen.
Die vom Senat im Jahr 2000 gestattete Bebauung des westlichen Nachbargrundstücks, auf dem zu DDR-Zeiten die intakten Häuser abgerissen wurden, mit vier, die Westfassade der Kirche total verschattenden fünfstöckigen Häusern in nur fünf Metern Abstand, wurde lange nicht realisiert. Erst 2011 wurde mit der nachträglichen Genehmigung des Baus von Tiefgaragen die Anlage realisiert und damit begann die Kirche in ihren Grundfesten zu wanken.
Schon 2012 wurde von erheblichen Zerstörungen und Rissen im Innern der Kirche berichtet. Nur ein den ganzen Innenraum der Kirche füllendes Gerüst verhinderte letztlich den Einsturz. Inzwischen ist die Kirche gesichert (Betoneinspritzungen) und die musealen Bestände wie Skulpturen und Bilder sind entfernt. Nun droht eine neue Gefahr durch die derzeitige Bebauung der östlichen Seite, auch wenn der Abstand zur Kirche größer ist. Kultursenator Lederer (Die Linke) betonte im Januar 2017, dass es auch trotz aller Sicherungsmaßnahmen unklar sei, ob das Baudenkmal dauerhaft erhalten werden könne und ob eine museale Nutzung jemals wieder möglich ist. Wie geschmackvoll, elegant und harmonisch das Gesamtensemble „Kronprinzengärten“ die Kirche bedrängen, muss man sich ansehen, um es zu glauben. Ein Sieg des Monetären über das Geistig-Geistliche – finden sie nicht auch? Der Quadratmeterpreis liegt derzeit bei 16.000 €.
Von der Niederlagstrasse (welch passend- sprechender Begriff für die derzeitige städtebauliche Situation) über den benachbarten Schinkelplatz ist der Schlossneubau zu sehen. Dahinter liegt zwischen Spreeufer und S-Bahnhof Alexanderplatz eine riesige Freifläche, auf dem sich die ältesten Quartiere des Berliner Teils der Doppelstadt Berlin-Cölln befanden. Auf dem Teil bis zur Spandauer Straße wird zurzeit heftig an der U-Bahn gebaut. Im Krieg schwer zerstört, ließ die Führung der DDR im Marienviertel die erhaltenen Gebäude bis auf die Marienkirche abreißen, um das Idealbild der sozialistischen Stadt ohne Vergangenheit zu bauen. Alle Spuren des bürgerlichen Berlin sind hier ausgelöscht. Die städtischen Besitzverhältnisse, die in der NS-Zeit auch durch Arisierung von Häusern geschaffen wurden, sind unverändert erhalten. Eine Restitution hat es nie gegeben. Die Stadt Berlin als Eigentümer kann hier selbst entscheiden, was aus der Brache werden soll. Die Diskussion um die Architektur der DDR an dieser Stelle, deren Erhaltung oder Abriss im Wechselspiel mit der Wiederherstellung einzelner abgerissener Altbauten, läuft seit Jahren, und so wie es aussieht, werden die Bewahrer des Status quo wohl die Oberhand behalten. Die Freifläche des Marienviertels wird vermutlich als Beispiel kompletter Geschichtsauslöschung in Folge der DDR-Ideologie für alle Zeiten bewahrt oder mit belanglosen Zweckbauten bebaut werden. Nur dass es so von den Berlin-Besuchern nicht wahrgenommen wird, da sie die alte Stadt nicht kennen. Hier im Blog wurde vor zwei Jahre über die Diskussion bereits berichtet („Misstraut den Grünanlagen“ https://berlinab50.com/2015/02/20/misstraut-den-grunanlagen/).
Das nächste Mal ein Bericht zum Stand des Wiederaufbaus der benachbarten Schinkel´schen Bauakademie, für den der Deutsche Bundestag mehr als 60 Millionen Euro im Haushalt des Bundesbauministeriums bereitgestellt hat.
Verspricht mw