Begräbniskultur in Deutschland – das 19. Jahrhundert
Anfang des 19. Jahrhundert begann mit der bürgerlichen Emanzipation – in Folge der französischen Revolution – der Übergang von der Feudal- zur Bürgergesellschaft. Demokratiebewegung und die darauffolgende Restauration wurden in der Kunst und Literatur von der Romantik begleitet. Kunstvoll gestaltete Andenken an die Verstorbenen wurden modern: Haarlocken wurden zu Bildcollagen ausgeschmückt, kunstvoll kalligraphisch gestaltete Lebensläufe mit Scherenschnitten gestaltet und gestickte Erinnerungsbilder aufgehängt. Speziell gestalteter Trauerschmuck wurde getragen. Die Romantik brachte ein neues Verhältnis zum Tod und zu mystischen-magischen Elementen der menschlichen Existenz. Getragen von Antikenbegeisterung und Rückgriffen auf andere, vergangene Kulturperioden entwickelte sich eine vielfältige bürgerliche Grabmalkultur, die das 19. Jahrhundert als Höhepunkt der Friedhofskultur erscheinen lässt. Die im historischen Stil errichteten Familien- und Erbbegräbnisse, von kunstvollen Grabgittern gegeneinander abgegrenzt und geschützt, zeigte die wirtsc
haftliche Potenz der Erblasser. Neue Techniken, wie die Herstellung von Grabmalen aus Gusseisen ermöglichten auch ärmeren Schichten eigene personenbezogene Ruhestätten. Die neuen Verkehrswege auf der Schiene und zu Wasser erlaubten die Verbreitung kostengünstiger Grabmale. Der massenhafte Import von schwedischem Granit („Schwarz-Schwedisch“) am Ende des 19. Jahrhunderts war nur dadurch möglich, dass entsprechende Maschinen zur Bearbeitung des extrem harten Natursteins entwickelt wurden. Dieser Stein hatte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts eine große kulturgeschichtliche Bedeutung für die deutschen Friedhöfe.
Eine weitere gern genutzte Grabmalform war die Reproduzierbarkeit von Kunstwerken in Form von Zinkguss und Galvanoplastik. Sie ermöglichte die kostengünstige Nachahmung von Grabplastik aus Marmor oder Metall. Die galvanoplastischen Engel und trauernden Frauen aus der württembergischen Metallwarenfabrik WMF wurden in großer Auswahl über Katalog angeboten und finden sich auch heute noch auf vielen Berliner Friedhöfen. Diese Engel hatten Glück: Im zweiten Weltkrieg wurden sie wegen des geringen Anteils an Bronze nicht wie so viele andere Bronzen als Metallspende zur Verlängerung des Krieges eingeschmolzen. Da die Denkmale aus einer dünnen Bronzeschicht bestehen, in der ein eisenarmierter Gipskörper steckt, stellen sie heute eine Herausforderung für den Denkmalschutz dar, da das Eisen an den Stellen korrodiert , an denen es mit der Bronze zusammentrifft. Ihre Sanierung ist aufwendig und teuer.
Die Grabmalkultur entwickelte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts weg von der Entdeckung des Individuums hin zur Demonstration von Status. Die Grabstätten wurden größer. Pompös-historistische Monumente und Mausoleen verewigten Macht und Wohlstand der hier Bestatteten. Das Nebeneinander von Grabmälern, die die Ungleichheit des Lebens so offen zeigte, war Anlass zu vielfältiger Kritik, nicht nur aus kirchlichen Kreisen. Der trostlose Eindruck von endlosen, sich am rechtwinkligen Wegenetz entlangziehender Reihengräber wurde ebenfalls bemängelt und die gärtnerische Gestaltung der Flächen gefordert. Dabei berief sich die Bewegung zur Grabmalreform des frühen 20. Jahrhunderts auch auf die in der nächsten Folge vorgestellten schlichten Friedhöfe in Herrenhut und Dessau, die als Gegenentwurf zum üblichen Barockfriedhof bereits um 1750 angelegt wurden. Sollte die von den Reformern vorgeschlagene Typisierung im Sinne einer Vereinheitlichung der Grabmäler – wie bei den Böhmischen Brüdern (Herrenhut) – wirklich ein Ausweg sein?
Auch die Einführung der modernen Feuerbestattung und die „Neuerfindung“ des Urnenfriedhofs beeinflussten das Reformkonzept, wie in einer weiteren Folge gezeigt wird. Wie die ursprünglichen Ideale später dann unter dem Einfluss der zum Selbstzweck erstarrten Friedhofsrichtlinie zur heutigen Verödung der Friedhöfe führte, beendet dann die kleine Reihe.
Bleiben sie dabei?
Hofft mw
Fotos (c) mw