Industrielle, Banker, Weltrevolutionäre und NS-Bonzen

Inselstr. 16
Bei der Fortsetzung unseres Spaziergang auf Schwanenwerder stehen wir nun vor einem modern bebauten Grundstück Nr. 15-18. Heute befindet sich hier eine Residenz der deutschen Würth AG, dem weltweit führenden Handelskonzern für Befestigungs- und Montagematerial. Bis 1971 stand hier ein schlossähnliches Sommerhaus mit 32 Zimmern, das Walter Sobernheim 1914 durch Bruno Paul bauen ließ und „Haus Waltrud“ nannte. Sobernheim war einer der bekanntesten Industriellen seiner Zeit. Wenn Sie mehr über sein Wirken als Generaldirektor der Schultheiß-Patzenhofer-Brauerei wissen wollen, werden sie hier fündig: https://berlinab50.com/2016/04/26/schultheiss-brauerei-in-der-schoenhauser-alle/.

„Haus Waltrud“, Kupferdruck O.Felsing
1927 wurde durch Bruno Paul (1874-1968) auf Nr. 18 ein zweiter, kleinerer Neubau für Sobernheims Tochter errichtet. Weitere bekannte Bauwerke von Paul sind Schloss Börnicke, das frühere Asiatische Museum in Dahlem (Arnimallee, heute Museum Europäischer Kulturen) und der Zollernhof Unter den Linden. Nach dem Ersten Weltkrieg wollte Sobernheim aus wirtschaftlichen Gründen das Haus verkaufen. Es erwies sich als schwierig. 1920 mietete sich der aus Kriegsgeschäften (Balkankriege) sehr reich gewordene Lenin-/Trotzki-Berater mit Wohnsitz in Zürich, der Millionär Dr. Alexander Helphand, genannt Parvus (1867-1924) in das Haus ein – mit Vorkaufsrecht. Helphand war seit 1906 auch in Deutschland geschäftlich tätig. Er gilt als Urheber und Finanzier der Aktion, mit der Lenin und seine Freunde 1917 mit Wissen und aktiver Mitwirkung des deutschen Staates aus Genf nach Finnland im plombierten Wagon gebracht wurden und dann von Petrograd (dem heutigen Petersburg) die Sowjetrevolution begann. Die deutschen Stellen unterstützten den Umsturz, um einen Waffenstillstand mit Russland zu schließen, der mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk am 3. März 1918 Realität wurde. Helphand empfing in der Villa bis zu seinem Tode 1924 viele SPD-Politiker. Er gilt als Erfinder des Konzepts der „permanenten Revolution“. Vielleicht haben Jakob Augstein („S.P.O.N. – Im Zweifel links“) und Heribert Prantl (SZ; Namenschilder an Nr. 6) deshalb hier Wohnsitz genommen? Ob sie wohl bei einer Flasche guten Rotwein eine Revolution planen?
Bereits 1933 verließ die jüdische Familie Sobernheim Deutschland. Der Verkaufspreis der Villa war zwar noch marktgerecht, musste aber auf ein „Auswanderersperrkonto“ überwiesen werden. Die Nr. 18 kaufte 1936 der Schauspieler Gustav Fröhlich (1902-1987), der mit der Schauspielerin Lída Baarová liiert war. Sie gab Gustav Fröhlich schließlich „den Korb“, weil sie eine Affäre mit Propagandaminister Joseph Goebbels hatte, der ja nebenan Nr. 8-10 wohnte. Auch Speer wohnte als Mieter einmal in der Nr.18 und erwarb dabei gleich die Nr. 7. Das „Haus Waltrud“ kaufte 1938 der Chemie-Industrielle Max Baginski, der Erfinder, Hersteller und geniale Vermarkter der „Spalt-Tablette“.
Im Juli 1945 übernahm die amerikanische Besatzungsmacht die Verwaltung von Schwanenwerder. Im unzerstörten Haus der Sobernheims bereiteten hohe US-amerikanische Militärs die Potsdamer Konferenz vor. Später zog General Lucius D. Clay, Organisator der Berliner Luftbrücke, dort ein. In der Nachkriegszeit gab es von den Erben Anträge auf Entschädigung und Rückerstattung des Anwesens. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, der das Gebäude bei Max Baginski beließ und der an die Erben 12.000 Mark und 2.000 Mark für außergerichtliche Kosten zu zahlen hatte. 1971 wurde das prächtige Haus, das zuletzt als Privathospital genutzt wurde, im Zuge von Immobilienspekulationen abgerissen.
Nun kommen wir zu einem Gebäude auf Nr. 19-22, der Villa des Bankiers Arthur Salomonsohn, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Disconto-Gesellschaft, eine der größten deutschen Bankgesellschaften. Er starb 1930, die Erben mussten unter Zwang („Arisierung“) 1939 an die Reichskanzlei verkaufen, denn Hitlers Wohnsitz war hier geplant, allerdings nie gebaut. Das Geld wurde sofort beschlagnahmt. 1954 erfolgte Rückübertragung an die Erben, dann Kauf durch den Bezirk Berlin-Tempelhof. Seitdem ist hier ein Jugenderholungsheim.

Inselstr. 20 – 22
Nr. 23-26 ist von beträchtlicher Größe und gehörte dem Sohn des Bankiers von Nummer 19-22, Georg Solmssen (1900 getauft, davor Salomonsohn). Als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Telegraphengesellschaft trug er nach dem 1. Weltkrieg maßgeblich zum Wiederanschluss Deutschlands an das internationale Telegraphennetz bei. Solmssen erkannte schon 1933, dass die Nationalsozialisten eine – zuerst – wirtschaftliche Vernichtung der Juden planten. 1937 emigrierte er in die Schweiz. Das Anwesen erwarb Hitlers Leibarzt Theodor Morell (1886-1946), der damit gleich neben der geplanten Hitler-Residenz gewohnt hätte. Das Geld von Georg Solmssen wurde nicht beschlagnahmt, da seine Ehefrau nicht unter die Rassegesetze fiel. Nach Morells Tod stand der Besitz unter Kontrolle der Treuhand für NS-Vermögen. Nach dem Krieg erfolgte ein Vergleich zwischen den Erben. 1961 kaufte der Hamburger Verleger Axel Springer das Anwesen und lies einen modernen Bungalow errichten. Friede Springer verkaufte es 1999 an Privat. Der Garten ist so dicht, dass nichts zu sehen ist.
Das nächste Anwesen ist offener und präsentiert sich geradezu den Blicken des Flaneur. Doch dazu mehr in der nächsten Folge.
Kommen sie mit!
meint mw
Ein interessanter Bericht, der zum Besuch der Insel animiert. Eine kleine Berichtigung dazu: Lenin fuhr nicht nach Finnland, das damals zum Russischen Reich gehörte, sondern durch Finnland zum Finnischen Bahnhof in Petrograd, wo er am Abend des 16.April 1917 mit seinen 31 Mitstreitern aus Deutschland ankam. Noch eine aktuelle Bemerkung zu Jacob Augstein, dem „kleinen Lenin“ auf Schwanenwerder, von dem im Beitrag die Rede ist: Er hat gerade auf Facebook der Welt seine revolutionäre Weltsicht – ganz im Helphand´schen Sinne der permanenten Revolution – zu Hamburg G 20 mitgeteilt (Zitat) „Alle sagen jetzt, es gebe keine Rechtfertigung für Gewalt. Richtig. Aber die G20 sind selbst organisierte Gewalt und auch der Gipfel war ein Akt der Gewalt. ..Die Gewaltdemonstranten haben Autos angezündet. Auch dafür gilt: es handelt sich um eine Straftat…. Ist damit alles gesagt? Nein. Vorstellbar wäre noch der Hinweis, dass die Besitzer dieser Autos, die sich unschuldig und unbeteiligt wähnen, plötzlich daran erinnert werden, dass sie beides eben nicht sind – unschuldig und unbeteiligt. Denn das Auto, das eine Familie in Hamburg Ottensen gekauft und bezahlt hat und das da am Wochenende von solchen Straftätern angezündet wurde, ist selber kein wertneutraler Gegenstand, sondern ein politisches Objekt. Es besteht aus Rohstoffen, die unter den Terms of Trade einer von den G20 beherrschten Welt gefördert und gehandelt wurden: Kupfer aus Chile, oder Bauxit aus Guinea oder Seltene Erden aus China – geschürft, transportiert, verarbeitet unter Bedingungen, die man mit gutem Gewissen weder den Menschen noch dem Planeten zumuten kann. „ (Zitatende). Wie beruhigend, dass der ererbte Wohlstand des Millionär-Philosophen nicht solchen Mechanismen unterlag, oder? Wie läuft denn der Druck des „Freitags“, handschriftlich auf Lumpen? Der Grüne Tom Koenigs verschenkte 1973 sein Millionen-Erbe den Widerstandskämpfern in Vietnam, auch A. könnte sich so von seiner Erbschuld entlasten!
https://www.facebook.com/JakobAugstein/posts/1554066574638265:0
Dabei fällt mir ein Lied aus der Revue „Es liegt in der Luft“ von Mischa Spolianski, Berlin
1928 , Text Marcellus Schiffer, ein: „Ich weiß, das ist nicht so“. Darin heißt es “ Machmal verlier ich die Geduld. Daran ist nur (Piscator/heute Augstein) schuld! Der macht doch so in Kommunist. Zu denken hab ich mich erkühnt! Dass bald die Zeit gekommen ist, wo er verteilt, was er verdient – Ich weiß, das ist nicht so. Ich weiß, das kommt nicht so. Ich weiß, das würd nicht sein – Aber mach’n Se was dagegen, ich bild‘ mir das ein..“
Gruß von Werner
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